Busse-Film
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Grußwort von Filmpate Dr. Karsten Brensing
The Whale and The Raven

Erzählt wird die Geschichte von zwei Menschen: Janie Wray und Hermann Meuter, Getriebene, die ihr Leben den Walen verschrieben haben. Die Regisseurin Mirjam Leuze nimmt uns mit auf ihre Reise zu den beiden und lässt uns Teil ihres Alltags an der kanadischen Pazifikküste sein. 
 
Eine Empfehlung vorab: Bevor Sie den Film anschauen, schließen Sie die Augen, atmen sie langsam und tief ein, halten Sie die Luft für vier Sekunden an, dann atmen Sie langsam und tief wieder aus und verharren wieder für vier Sekunden. Wiederholen Sie dies drei- bis  fünfmal und genießen Sie die Ruhe, wissend, dass die folgenden 100 Minuten ihnen gehören. Schon die ersten Sekunden des Films sind hypnotisch und ziehen uns in eine Atmosphäre, die mit Worten nicht zu beschreiben ist, schön, dass es Filme gibt, sind meine ersten Gedanken.
 
Irgendwann habe ich mich gefragt, warum der Film so hypnotisch auf mich wirkt. Natürlich gibt es beeindruckende Bilder von einer scheinbar unberührten Natur, in der man die Frische der Meeresbrise förmlich riecht. Außerdem gibt es beeindruckende Bilder von Walen, und allein schon diese Kombination kann einen umhauen. Doch das war es nicht. Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass die hypnotische Wirkung durch Stille erzeugt wurde. Diese Stille war aber nicht leise, sie atmete, sie trug das leise Plätschern der Wellen und wurde von weichem Streichen auf Geigen getragen. 

Doch diese Stille wird von durchdringenden, die Luft zerschneidenden Quietschgeräuschen aus Lautsprechern durchbrochen. Ab und an hören wir das Kra eines Rabens und könnten uns in die Kulisse eines Thrillers versetzt fühlen. Es fehlt nur noch das Opfer, das mitten im Wald durch künstliche Geräusche in den Wahnsinn getrieben wird. Doch es ist kein Thriller, und wenn jemand dem Wahn verfallen ist, dann sind es unsere beiden Hauptprotagonisten, die die Lautsprecher installiert haben. 

Janie Wray sagt im Interview, dass es die Erfüllung ihrer Arbeit wäre, das Gebiet unter Schutz gestellt zu sehen. Doch wie kann man mit in Bäumen hängenden Lautsprechern ein Schutzgebiet erschaffen? In den meisten Naturdokumentationen würde an dieser Stelle der Sprecher erklären, dass die Quietschgeräusche Kommunikationslaute von Orcas sind und dass man mit den Aufzeichnungen dokumentieren kann, wie oft die Tiere in diesem Gebiet sind. Es würde auch erklärt werden, welche große Bedeutung der Fotoidentifikationstechnik zukommt und dass praktisch jeder Wal mit Stammbaum den Forschern bekannt ist. Diese Erklärungen bleibt uns der Film schuldig, denn er hat sie nicht nötig. Wir sehen unsere beiden Forscher alarmiert aufblicken und die Kamera zücken, wenn ein Lautsprecher die Geräusche unterhalb des Wasserspiegels in den Wald überträgt. Wir erleben ihre Arbeit mit den Fotokatalogen, in denen jedes einzelne Tier zu finden ist, und wir verbinden uns gedanklich mit den Helfern, die von Hermann Meuter ihre Einweisung bekommen.
 
Tatsächlich werden mit diesen einfachen Methoden und mit der Unterstützung vieler freiwilliger Helfer Daten gewonnen, mit denen man Schutzgebiete ausweisen kann. Dass dies erforderlich ist, wird deutlich, wenn man den Bestrebungen der Öl- und Gasindustrie über die vergangenen Jahre folgt. Es stimmt einen optimistisch, wenn die ältere weise Repräsentantin der Gitga’at First Nation erklärt, dass der Kampf gegen eine Öltankerroute erfolgreich war, und es beklemmt uns zu erfahren, dass Pläne, eine Gastankerroute zu etablieren, kaum Kritik finden.

An dieser Stelle wird ein weiterer Aspekt der Arbeit unserer beiden Forscher offenkundig. Es geht nicht nur darum, wissenschaftliche Daten zu produzieren, sondern auch darum, der Bevölkerung die Erkenntnisse über die Tiere zu vermitteln. Die Autorin nimmt uns auch bei diesem Aspekt mit und zeigt uns, wie auf Vorträgen für Verständnis geworben wird. Erzählt wird beispielsweise die Geschichte einer trauernden Mutter. Die vermenschlichte Erzählweise zieht jeden Zuhörer in den Bann. Doch darf man das? Ich glaube, ja, denn wenn wir aus Ergebnissen der vergleichenden Verhaltensbiologie wissen, dass sich Tiere vergleichbar verhalten wie wir Menschen, dann können wir ebenso gut von uns auf die Tiere übertragen. Es ist eben völlig unlogisch, einen Unterschied zu vermuten, wenn ein Tier einen Test auf logisches Denken besteht. Warum sollte die Natur auch zwei verschiedene Formen von logischem Denken entwickelt haben, und welche sollten das überhaupt sein? Trauer lässt sich zwar nicht so gut testen wie logisches Denken, aber seit vielen Jahren machen sich Verhaltensbiologen über Trauer Gedanken und haben ein Set von Bedingungen definiert. Folgt man diesen Gedanken, dann trauert die Walkuh, und die damit verbundenen Gefühle sind vermutlich den unsrigen sehr ähnlich.
 
Wem solche Gedanken zu unwissenschaftlich erscheinen, der ist spätestens betroffen, wenn er die Lautstärke eines vorbeifahrenden Tankers hört. An sich klingt dieses Geräusch nicht tragisch, doch es überdeckt vollständig die Rufe der Wale, die wir gerade noch gehört haben. Es ist so, als würden wir versuchen, ein Telefongespräch auf einem Bahnsteig zu führen, wenn ein Zug einfährt. Jegliche Kommunikation ist unterbrochen, die Wissenschaft spricht von Maskierung. Auch das wäre nicht so tragisch, denn ein starker Sturm und brechende Wellen haben einen ähnlichen Effekt. Es wird aber zu einem Problem, wenn ein Schiff nach dem anderen das Territorium der Tiere durchquert und einen Großteil des Tages die Kommunikation behindert. Der Wert der Stille, die wir im Film erleben dürfen, wird deutlich, wenn man sich vorstellt, dass sich beispielsweise Blauwale auf eine Entfernung von 1000 km rufen können. Dass Wasser Schall viel besser leitet als Luft, ist traumhaft, aber wir machen den betroffenen Tieren ihr Leben mit unserem Krach zum Alptraum. Es gibt sogar Sonargeräte, die unter Wasser so laut sind, dass wir sie in Deutschland hören könnten, wenn sie in Moskau in Betrieb genommen werden. In den letzten vier Jahrzehnten hat sich der Lärm im Meer alle zehn Jahre verdoppelt, und wir haben sogar festgestellt, dass besonders Großwale versuchen, noch tiefere Geräusche zu erzeugen, um aus dem Frequenzbereich der lärmenden Schiffe herauszukommen und wenigstens ein bisschen gehört zu werden.

Aus meiner Sicht gibt es bei dem Film kaum etwas zu meckern, außer vielleicht, dass ich die Naturaufnahmen gerne viel länger in Stille genossen hätte. Vielleicht noch eine Warnung am Ende: Erwarten Sie nicht zu viele Raben. Der Titel erklärt sich auf ganz unerwartete Weise und eröffnet dem Zuschauer eine weitere, eine soziale und kulturelle Dimension.
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Dr. Karsten Brensing ist Meeresbiologe und  Verhaltensforscher und Autor, der sich als wissenschaftlicher Gutachter und Verfasser von populärwissenschaftlichen Büchern für die artgerechte Haltung von Tieren, besonders von Delfinen, einsetzt. 2017 gründete er zusammen mit anderen hochkarätigen Wissenschaftlern die Individuals Rights Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die gesellschaftliche und juristische Grundlage, auf der unser Umgang mit Tieren beruht, grundsätzlich zum Wohl der betroffenen Tiere zu verbessern.
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