Mirjam Leuze: Regiestatement
Juni 2002, Gil Island, Westküste Kanadas. Es ist schon fast dunkel, als ich mich auf einen Felsvorsprung auf der Südspitze der Insel setze. Whale Point wird dieser Platz genannt. Bis auf das rhythmische Klatschen des Wassers ist es still. Dann verändert sich alles. Ich höre ein gewaltiges Atmen. Der Kopf eines Buckelwales steigt aus dem Wasser, nur zehn Meter von mir entfernt. Noch nie war ich einem wilden Tier so nahe. Ich habe dort etwas erlebt, wovon viele Menschen berichten, nachdem sie das erste Mal einem Wal aus nächster Nähe begegnet sind: ein tiefes Gefühl von Staunen und Demut angesichts eines Wesens, das für uns Menschen unvorstellbar groß ist.
So seltsam es auch klingen mag: Die Begegnung mit diesem Buckelwal hat mein Leben verändert und mich zu diesem Film inspiriert. Bei den Dreharbeiten bin ich allerdings in ein fast auswegloses Gestrüpp widersprüchlichster Interessen geraten - Walforscher versus die Öl- und Gasindustrie. In schwierigen Situationen half mir die Erinnerung an diesen magischen Moment. Und der Gedanke an das bevorstehende große Artensterben trieb mich an. Der aktuelle Bericht des UN-Biodiversitätsrats spricht davon, dass die unvorstellbare Menge von einer Million Arten im Lauf der kommenden Jahrzehnte aussterben wird. Ob Wale oder Schmetterlinge, Palisander oder Arnika, für das 6. große Artensterben in der Geschichte unseres Planeten sind nur wir Menschen verantwortlich. Wir teilen uns diesen Planeten mit anderen intelligenten und mitfühlenden Lebewesen. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden diese unwiederbringlich verloren sein. Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel: Die Bedürfnisse nichtmenschlicher Lebewesen sind genauso fundamental wichtig wie unsere ureigensten. |